Rezension: Wir haben keine Angst

Rezension Wir haben keine Angst

Wir twenty- und thirtysomethings… wir sind so verdammt privilegiert und gleichzeitig so verdammt unglücklich. Wieso eigentlich? Nina Pauer kennt die Antwort und verrät sie uns – in ihrem Buch „Wir haben keine Angst“.

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igentlich können wir uns über gar nichts in unserem Leben beschweren. Wir sind jung, haben studiert und einen Job gefunden, haben eine eigene Wohnung oder ein WG Zimmer, haben genug Geld, sind selbstbewusst, unabhängig, können Reisen und uns um Luxusprobleme wie Superfoods oder das neue iPhone kümmern. Wir sind die Akademikerkinder der 80er Jahre. Wir sind die Generation, die keine ernsten Probleme kennt, denn alle Krisen der Weltgeschichte änderten nie wirklich etwas an unserer Lebensrealität.

Man könnte meinen, dass wir zufrieden sein sollten. Doch ständig nagt eine Angst an uns, die wir uns selbst nicht erklären können und die uns gleichzeitig innerlich auffrisst.

Genau dieses Phänomen beleuchtet Nina Pauer in ihrem Buch „Wir haben keine Angst“. Der Kern:

Die Chance meiner Generation war schon immer gleichzeitig auch ihr Fluch: ALLES IST MÖGLICH.

Und damit hat Nina Pauer irgendwie Recht. Uns Kindern der 80er Jahre wurde immer gesagt, dass uns alle Türen offen stehen. Wir können alles machen, was wir wollen. Unsere Eltern würden uns ja auch bei jeder Entscheidung unterstützen. Wir sollten uns nur für etwas entscheiden, das uns glücklich macht.

Damit war der Grundstein gelegt für die Show, die Nina Pauer „Germany’s next Selbstverwirklicher“ nennt. Aus dem Luxus der schier unbegrenzten Möglichkeiten ergibt sich der Druck, genau die zu finden, die uns am besten entspricht – mit der wir unser Selbst am besten verwirklichen können. So stellt sie fest:

Uns plagt diese tiefsitzende, diese von Grund auf fertigmachende Angst davor, uns falsch zu entscheiden. Was, wenn wir im Job, in der Liebe, im gesamten Lebensstil ein falsches Jetzt leben, das das richtige Später verhindert?

Genau aus diesem Grund laufen laut der Autorin Konjunktiv-Fragen auf Dauerschleife als Ohrwurm in unserem Kopf. Wäre etwas anderes nicht doch besser gewesen? Hätte ich mich anders entscheiden sollen? Treffe ich gerade jetzt die richtige Entscheidung? Bin das hier wirklich ich?

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Jetzt freu dich doch mal!

Weil wir permanent das Gefühl haben, dass es vielleicht doch noch etwas Besseres gibt, können wir uns auch nur selten richtig über etwas freuen. Nach der Beförderung ist vor der Beförderung. Und irgendwo gibt es vermutlich sowieso einen Job, der noch viel besser zu uns passt, in dem wir dann endlich voll aufgehen können.

Bei mir ist das nicht anders. Etwa ein Jahr… so lange fand ich meinen ersten Job voll gut. Dann begannen die Zweifel. Ist es das wirklich? Macht mich das glücklich? Müsste ich nicht eigentlich woanders sein?

Das perfide daran: Gleichzeitig war mir ja auch bewusst, dass ich es in den Augen der Generation meiner Eltern voll „geschafft“ hatte. Ich meine, hallo? Mega coole Altbauwohnung in Berlin, Job in einer hippen Agentur! Und auch jetzt sitze ich in Hamburg in einer tollen Wohnung im In-Viertel Winterhunde und arbeite in hippen Agenturen. Ich sollte verdammt glücklich sein. Stattdessen sitze ich mindestens alle drei Monate auf meinem IKEA Sofa, stelle mir immer noch dieselben Fragen wie 2011 und würde mir am liebsten selber entgegen schreien: „Maaan, ey! Was willst du denn noch? Jetzt freu dich doch mal!“

Auch Nina Pauer sagt in „Wir haben keine Angst“: Wir Kinder der 80er würden uns ja gerne freuen. Denn schön finden wir dieses permanente Zweifeln nicht. Doch es nützt nichts: Hätte, hätte, Fahrradkette… – es bleibt das Leitmotto unseres Lebens.

Dass das alles ziemlich verkorkst ist, schwant uns Angsthasen ja auch. Und auch wenn die Sterne vermutlich nicht genau das meinten, so fühlen wir uns doch angesprochen, wenn sie uns ungläubig und vorwurfsvoll schon seit 1996 fragen, was uns denn bitte so ruiniert hat?

Warst du nicht fett und rosig? Warst du nicht glücklich?
Wo fing das an und wann? Was hat dich irritiert?
Was hat dich bloß so ruiniert?
(Die Sterne)

 

Das Video zu „Was hat dich bloß so ruiniert“ kannst du hier noch einmal anschauen und in Erinnerungen schwelgen.

„I can’t take my mind off of you… til I find somebody new“ (Damien Rice)

Auch in der Liebe geht es uns leider nicht anders. Auf der einen Seite wollen wir uns nicht richtig festlegen, denn es könnte ja noch jemand besseres irgendwo da draußen sein. Auf der anderen Seite swipen wir uns stundenlang durch Tinder oder klicken uns durch Parship, in der Hoffnung, dass wir der Single sind, der sich in der 11. Minute verliebt.

Wenn wir ehrlich sind, haben wir nämlich mittlerweile überhaupt keine Lust mehr auf Suchen. Wir wollen endlich finden. (…) Und auch wenn wir es nicht so leicht zugeben können und um Himmels willen nicht so verzweifelt auf der Suche danach wirken wollen: Wir alle sehnen uns nach Geborgenheit. (…) Auf Dauer wollen wir nicht allein, sondern zu zweit sein.

Wir sind also irgendwie bereit, eine Familie zu gründen und endlich gesettled zu werden. Doch wir stehen uns gnadenlos selbst im Weg. Denn egal wen wir treffen, wir haben Angst, dass er oder sie nicht der Richtige ist. Dass wir unser Soulmate verpassen oder es nie finden. Dass wir den Einen schon gefunden, aber fälschlicherweise doch wieder abgeschossen haben. So checken wir unablässig die Facebook Profile unserer Verflossenen und fragen uns, ob wir nicht doch mit ihm oder ihr glücklich hätten werden können.

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Rezension: Wir haben keine Angst – Endlich ein Grund – los Panik!

Unsere größten Angstmacher sind laut Nina Pauer der Job, die Liebe, das Erwachsenwerden und das klare Positionieren. Auf all diesen Feldern tappen wir heillos im Dunkeln unserer vor Panik über den Kopf gezogenen Bettdecke.

Was diese Angst mit uns macht, illustriert die Autorin an den fiktiven Charakteren Anna und Bastian. Während Anna mit 27 auf ihr erstes Burnout zusteuert und immer unter Strom steht, ist Bastian mit Anfang dreißig noch an der Uni, kriegt nichts auf die Reihe und spielt vor lauter Angst und Unsicherheit noch nicht mit im richtigen Erwachsenenleben. Anna und Bastian sind die extremen Pole auf der Skala möglicher Angst-Ausprägungen. Anna und Bastian wissen beide, dass es so nicht weitergehen kann und schaffen es trotzdem nicht, ihre Handlungsmuster zu durchbrechen. In fiktiven Therapiesitzungen vertrauen sie sich Herrn G. an.

Fazit?

Hat das Buch eine Lösung? Nein. Hilft es trotzdem? Ich finde schon. Es führt uns Angstpatienten auf unterhaltsame Weise vor Augen, was wir vielleicht schon öfter befürchtet haben: Dass die Vorstellung, es gäbe diese eine einzig wahre Version von uns und unserem Leben, uns vielleicht eher im Weg steht. Dass unsere oftmals so unerklärliche Traurigkeit eventuell aus der Angst des Verpassens und Versagens und der gleichzeitigen Überforderung entsteht. Und dass wir am Ende des Tages einfach nicht wissen, wie wir uns selbst mit diesem Luxusproblem helfen sollen.

Nina Pauer hat darauf zwar keine allgemein gültige Antwort, aber wie sagt der Therapeut Herr G. so schön zum Schluss? Thematisieren ist der erste Schritt!

Nina Pauer
Wir haben keine Angst
S. Fischer Verlag, 2011

Für wen? Für uns Akademikerkinder der 80er.

Für wann? Für ein regnerisches Wochenende im Dezember. Rechtzeitig vor Silvester wird uns dann hoffentlich bewusst, dass wir unsere bescheuerten Erwartungen an uns selbst gar nicht erfüllen können.

Puh, hartes thema, aber eines, das meine Generation tatsächlich bewegt. Geht es dir auch manchmal so?
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9 Kommentare

  1. Hey Imke,

    toller Text! Beängstigend, dass man sich in Teile selbst wiederfindet :S

    Ich weiß aber nicht, ob das nur ein Problem der 80er ist. Ich glaube, dass ist eher eine Begleiterscheinung der Social Media und Internet-Generation. Man bekommt ständig vor Augen geführt, was andere für ein tolles Leben führen und grübelt über sich selbst. Dabei ist das, was man im Netz sieht, ja nur die gefilterte Wirklichkeit …

    Auch finde ich einen gesunde Unzufriedenheit gar nicht so verkehrt. Sie treibt uns an, nach mehr zu streben und manche Dinge auch mal zu hinterfragen, die Generationen vor uns einfach so hingenommen hätten.

    Viele Grüße
    Christian

    • Hi Christian,

      ja, da hast du natürlich Recht. Social Media spielt dabei eine große Rolle. Das sagt Nina Pauer auch in ihrem Buch. Wenn wir ständig überprüfen müssen, ob unser Ich (unsere derzeitige Version von uns) noch „Likes“ erhält, baut das auch Druck auf und begünstigt eine gewisse Ich-Zentriertheit 😉 Es wurde glaube ich sogar mal wissenschaftlich bewiesen, dass Menschen, die regelmäßig auf Facebook & Co. surfen, statistisch betrachtet unzufriedener sind.

      Dass eine gesunde Unzufriedenheit gut ist, stimmt natürlich. Ich glaube aber, Nina Pauer geht es genau um die Unzufriedenheit, die darüber hinaus geht. Also die Angst, die uns mehr oder minder lähmt oder aber an den Rand des Burnouts treibt.

      Viele Grüße
      Imke

  2. Hallo Imke,

    das Buch habe ich mir direkt mal notiert und wird dann nach unserer Rückkehr nach Deutschland besorgt. Ich hatte zwar bis zum Schluss deines Textes auf eine Lösung gehofft 😀 Aber verdammt spannend klingt es trotzdem.

    Liebe Grüße
    Chris

    • Hallo Chris,
      ja, so eine richtige Lösung gibt das Buch nicht 😀 Manchmal hilft es ja wirklich schon, wenn man sich bestimmter Dinge bewusst wird. Vielleicht ist die Lösung auch, einen Mittelweg zwischen Bastian und Anna zu finden… Ich wünsche dir auf jeden Fall viel Spaß bei der Lektüre!
      Liebe Grüße
      Imke

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