In Adelle Waldmans Roman „Das Liebesleben des Nathaniel P.“ geht es – wer hätte es gedacht – um Nate. Nate ist Schriftsteller und Journalist, etwa Anfang/Mitte 30, wohnt in Brooklyn und bewegt sich zwischen Hipster-Bars, Rucola-Pizza und Vernissage. Seitdem er einen Buchdeal abgeschlossen und eine sechsstellige Summe als Vorschuss kassiert hat, hat er es in seinem Zirkel von literarischen Freunden „geschafft“. Wenn er jetzt noch die große Liebe finden würde… aber will Nate das überhaupt?
Was mit seinem Liebesleben passieren soll, das weiß Nate leider selbst nicht so genau. Eigentlich will er keine Beziehung – und macht das bei Dates meistens auch gleich klar. Denn er will bei den Frauen keine Erwartungen wecken. Man könnte denken, dass Nate der Typ für One Night Stands wäre, aber die befriedigen ihn nie so ganz. Er weiß: mit einer Frau zu schlafen, die er auch noch interessant und intelligent und nett findet, das ist der richtige Kick. Deshalb gabelt er auf Vernissagen oder auf Dinner Partys von Verflossenen immer mal wieder hübsche Verlagsassistentinnen oder Journalistinnen für ein paar Dates auf. Aus irgendeinem Grund endet es jedoch meistens darin, dass diese ihn nach kurzer Zeit als Arschloch beschimpfen.
Dabei hält Nate sich selbst für einen gar nicht so schlechten Kerl – und oberflächlich betrachtet ist er das auch nicht. Er sieht passabel aus, weiß sich auf besagten Dinner Partys zu benehmen, kennt die Regeln der gepflegten Konversation genauso wie die des modernen Datings.
„War dieser Café-Latte-Liberalismus sein unausweichliches Schicksal? Wahrscheinlich. Es war reine Eitelkeit, etwas anderes vorzugeben.“
Beziehung? … besser nicht – oder vielleicht morgen
Adelle Waldman macht in „Das Liebesleben des Nathaniel P.“ nicht den Fehler, Nate als offensichtliches Arschloch zu skizzieren. Es sind die kleinen, subtilen Dinge, die den Leser stutzig machen. Wie zum Beispiel Nates Gedanken, wenn er eine Frau kennenlernt. Manchmal reicht dann ein bestimmter Blick, ein tiefer T-Shirt Ausschnitt, eine kluge Bemerkung oder ein enges Kleid, um sein Interesse an einer Frau zu entfachen. Dann ist er Feuer und Flamme – ja, in dem Moment brennt er für diese eine Frau und ihre diversen Vorzüge. So ist es auch bei Hannah. Als er sie kennenlernt überrascht sie ihn durch ihre intelligente Art. Und obwohl Nate sich nach den ersten Treffen nicht so ganz sicher ist, ob sich mehr aus ihnen entwickeln soll, trifft er sich weiter mit ihr. Irgendwie mag er es ja auch, dass sie cool ist und hübsch. Mit ihr muss er sich vor seinen Freunden nicht schämen. Es entwickelt sich so etwas wie eine Beziehung.
Doch nach ein paar Monaten ist der Reiz des Neuen verflogen und Nate beginnt, sich durch die Beziehung eingeengt zu fühlen. Anstatt mit Hannah zum Brunch zu gehen, will er lieber zu Hause in seiner versifften Singlebude Artikel schreiben und in Ruhe Pornos gucken. Er will sich nicht rechtfertigen und schon gar nicht festlegen. Es kommt wie es kommen muss: Nate versucht zunehmend sich der Beziehung zu entziehen und ist genervt von Hannahs Rettungsversuchen.
Frauen und Männer sind gleichberechtigt – aber Männer sind ein bisschen gleicher
Adelle Waldman selbst sagte (laut Zeit Online) über „Das Liebesleben des Nathaniel P.“, sie habe mit dem Buch den unterschwelligen intellektuellen Sexismus thematisieren wollen, der in Akademikerkreisen herrscht. Tatsächlich zieht sich dieser wie selbstverständlich durch Nates Gedanken. Etwa wenn er seine Freundin Aurit – die er immerhin als die intelligenteste Frau, die er kennt, klassifiziert – damit beschreibt, dass sie zwar viele wichtige Diskurse führe, aber halt eben immer nur solche, die mit ihrer eigenen Person verknüpft sind. Er selber hingegen wäre in der Lage, sich auch mit abstrakteren Dingen wie dem Outsourcing des schlechten Gewissens auf Dienstleister zu beschäftigen. Den Zusammenhang dazu, dass Nate seine Wohnung so lange verlottern lässt, bis es nicht mehr geht – und dann trotz schlechtem Gewissen eine mexikanische Putzfrau engagiert, den sieht der Leser. Ob Nate ihn sieht, ist nicht ganz klar. Was deutlich wird: Frauen werden von Nate zwar vordergründig als gleichberechtigt betrachtet, aber unterschwellig nach ihren körperlichen Vorzügen klassifiziert und pauschal als emotional bedürftig und anhänglich abgestempelt. So sinniert Nate beim gemeinsamen Dinner darüber, ob sein Freund ihn wohl bemitleidet, weil er mit Hannah und nicht mit der hübscheren, aber auch naiven und weniger intellektuellen Lektoratsassistentin zusammen ist.
Nun könnte man sagen, dass Nate halt doch ein Arschloch ist. Das wäre jedoch zu einfach. Denn seine Unentschlossenheit und seine Einstellung zu Frauen vermittelt Adelle Waldman in „Das Liebesleben des Nathaniel P.“ gemeiner Weise so plausibel, dass wir Nate ja irgendwie auch verstehen können. Eben das macht das Buch so reizvoll.
Übrigens: „Der Typ war ein totaler Nathaniel P.“ soll unter Frauen in New York 2014 zu einem geflügelten Ausdruck für thirtysomething Männer geworden sein, die sich nicht so recht für oder gegen eine Beziehung entscheiden können. Grandios, oder?
Adelle Waldmann
Das Liebesleben des Nathaniel P.
Verlag: Liebeskind
Erscheinungsdatum: Juni 2015 (deutsche Ausgabe)
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Für wen? Uns Frauen und ja, auch für euch Männer… ihr heimlichen Nathaniel P.s!
Für wann? Wenn man sich Sonntag mal wieder fragt, ob man dem letzten Tinder Date eine Chance geben soll.
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