Rezension: Tommy Jaud – Einen Scheiß muss ich

Tommy Jaud Einen Scheiß muss ich

Müssen wir eigentlich immer etwas erreichen wollen im Leben? Uns gesund ernähren und Sport treiben? NEIN, sagt Sean Brummel. In seinem „Selbsthilfebuch“ stellt er das ESMI Prinzip vor, um uns arme Schlucker vor den Muss-Monstern zu bewahren. Urkomisch und auch ein bisschen lehrreich…

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a saß Sean nun, eingeknackt weil er ein Bierfass auf einem Bierfest geklaut hatte. Seine Frau Trisha weigerte sich, die fehlenden 40 Cents zur Kaution vorbei zu bringen, daher hieß es für Sean: eine Nacht im Knast. Dabei hatte Sean noch so viel zu tun… zum Beispiel aufräumen, das Shirt für die Arbeit waschen und den Rasen gießen. Ganz zu schweigen von der Sporttasche, die noch gepackt werden muss.

Der Officer verzog seine Mundwinkel, und was er dann sagte, sollte meinem Leben einen kompletten U-Turn geben:

„Ich sag dir jetzt mal, was du musst, 40 Cents: Einen Scheiß musst du!“ 

(Tommy Jaud:“Einen Scheiß muss ich“, Fischer Taschenbuch, 2015, S. 13)

Das mag im ersten Moment traurig klingen, aber für Sean beginnt mit diesem Satz die Erkenntnis, dass die meisten unserer Zwänge im Leben selbstgemacht sind. So fängt er an, die ganzen „Ich muss…“-Sätze kritisch zu hinterfragen.

Muss ich wirklich abnehmen, vorwärts kommen im Job, mich gesund ernähren und raus gehen wenn die Sonne scheint?

Seans Antwort: Nein, müssen wir nicht. Denn es ist klar: Einen Scheiß müssen wir.

Außerdem hat Sean für jedes „Ich muss“ die passende Antithese. Sport machen zum Beispiel. Es klingt schon sehr verlockend, wenn Sean vorrechnet, dass wir allein durch unseren Grundumsatz beim Fernsehen inklusive zweimal zum Kühlschrank gehen um ein neues Bier zu holen ganz schön viele Kalorien verbrauchen…

Und so entschlackt Sean Brummel (das amerikanische Alter-Ego von Tommy Jaud) in diesem irrwitzigen Selbsthilfebuch Kapitel um Kapitel unsere Must-Do-Liste. Denn im Grunde müssen wir ja gar nichts, ok… ab und zu mal essen und schlafen vielleicht. Aber wie wir das machen, müssen wir uns zumindest nicht vom Muss-Monster vorschreiben lassen!

Gegen die übermäßige Selbstoptimierung

In einem Interview mit „Planet Interview“ sagte Autor Tommy Jaud, das Buch sei die Reaktion auf ein Gesellschaftsgefühl, die Gegenpropaganda zu einem Mainstream-Gesellschaftsstrom der Selbstoptimierung, der ihn manchmal nachdenklich stimme. Wie er sich diesem Strom entziehen soll, weiß Jaud auch nicht. Aber wäre es nicht schön, wenn wir die kleinen schönen Dinge des Lebens – also das, was uns glücklich macht – öfter ins Rampenlicht zerren und dafür weniger verbissen auf dem Stepper schwitzen würden?

So ist „Einen Scheiß muss ich“ ein brüllend komisches Plädoyer für mehr Gelassenheit im Alltag. Denn die Frage: „Muss ich wirklich raus gehen, wenn die Sonne scheint“, lässt sich durchaus ganz einfach mit „Nein“ beantworten. Genauso wie die Frage: „Muss ich eine Smartwatch haben?“ Und Kinder braucht man auch nicht unbedingt.

Nach dem ESMI Prinzip (Einen Scheiß Muss Ich Prinzip) lebt es sich einfach entspannter. Aufräumen, wenn es Not tut. Sport machen, wenn einem wirklich danach ist, das essen, was einem schmeckt, sich nur noch mit den Leuten treffen, die man wirklich sehen will… hört sich doch gar nicht so schlecht an, oder?

Ich persönlich arbeite übrigens noch an meiner ESMI Einstellung. Manchmal klappt es schon ganz gut, aber dann ertappe ich mich doch dabei, wie ich aus schlechtem Gewissen aufräume oder das Muss-Monster mich dazu gebracht hat, mal wieder etwas Hippes zu kaufen. Doch wie heißt es so schön: es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Ich übe also fleißig weiter…

Wir alle wissen: Mangelnde Faulheit kann zu Burnout führen. Dennoch leiden immer mehr Menschen unter maßlosem Müssen. Aber müssen wir wirklich abnehmen, aufräumen und uns ökologisch korrekt verhalten? Vorwärtskommen im Job, zu allem eine Meinung haben und rausgehen, wenn die Sonne scheint? »Nein!«, sagt US-Bestseller-Autor Sean Brummel alias Tommy Jaud (›Vollidiot‹, ›Hummeldumm‹), »einen Scheiß müssen wir! Die Leute sterben nicht, weil sie zu wenig Licht bekommen. Sie sterben, weil sie zu wenig Spaß haben.« 

(Verlagsinformation des Fischer Verlags)

Der Fischer Verlag bietet übrigens auch eine Leseprobe von „Einen Scheiß muss ich“ als PDF an. Ich würde ja sagen „Da müsst ihr reinschauen!“ – aber als aufmerksame Leser würdet ihr ja lachen und sagen „Imke… einen Scheiß muss ich“…

Tommy Jaud
Einen Scheiß muss ich
Verlag: S. Fischer, 2015

Für wen? Für jeden, der das Gefühl hat er muss noch so viele Dinge tun…
Für wann? Ideal im Frühling, um sich die Sache mit der Bikini-Diät/ dem Crossfit Kurs wieder auszureden.
Fazit? Ich habe sehr gelacht. Wirklich sehr, sehr witzig und mit einem wahren Kern. Absolute Leseempfehlung!

Du fragst dich jetzt, was dich denn glücklich machen würde? Vielleicht inspiriert dich Nina Pauers Blick auf uns ständig Sinnsuchende in „Wir haben keine Angst“.

Noch mehr Lesestoff gesucht? Hier findest du weitere Buchempfehlungen:
Arnaldur Indriðason: Schattenwege
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2 Kommentare

  1. Eddy Harteneck

    Ich habe das Buch vor ein paar Monaten verschlungen und Tränen gelacht… herrlicher Lesestoff von einem weisen Mann geschrieben, der die Zeichen der Zeit erkannt hat…. schwer zu empfehlen

    • Hallo Eddy,
      ja, das sehe ich auch so. Auch wenn sich natürlich nicht alles 1:1 in den Alltag integrieren lässt – es steckt schon mehr als ein Körnchen Wahrheit drin 😉
      Viele Grüße
      Imke

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